Die Leiden des alten Herrschers
Sie haben wohl meinen Adelsnamen vergessen, denn niemand nennt mich bei diesem. Nun ja, sie sind nun einmal Untertanen und als solche nicht die aufgewecktesten Bürschchen.
Sie sind recht gefügig. Sie wecken mich, kleiden mich an, servieren mir mein Essen, gehen mir bei der Leibwäsche zur Hand, lesen mir jeden Wunsch von den Augen ab. Vor allem mein Leibarzt sorgt sich würdig um mich. Ich lasse täglich nach ihm rufen.
Nur einen haben sie nicht im Griff.
Er ist wohl der Hofnarr, denn er hüpft mir auf meinen Spaziergängen nahe dem Schloss häufig vor die Füße und beginnt mich zu piesacken. Er gewährt mir nicht die mir gebührende Hochachtung. Vielmehr versucht er oft, mir weiszumachen, ich wäre gar kein Herrscher, sondern gehöre dem gemeinen Volke an. Oft lache ich mit ihm und lasse ihm seinen Spaß, ist er doch der Hofnarr und waltet einfach seines Hofnarrenamtes. Manchmal jedoch treibt er es zu keck und verdirbt mir die Laune. Das Regieren vergeht mir an solchen Tagen völlig, und ich bringe keinen vernünftigen Herrschergedanken mehr zustande.
Vor etwa einer Woche, ich war gerade auf dem Weg von meinen Gemächern hinunter zum Schlossteich, um einige Zeit dem Spiel der Wellen zuzuschauen, sprang er so unvermittelt aus dem Gebüsch, dass ich beinahe umgefallen wäre vor Schreck. Als ich ihn zur Rede stellte, erwiderte er frech, er habe meine Allüren nun endgültig satt und würde für mich, den weirden Crack-Head, nicht länger den Vollpfosten spielen.
Als ich ihn fragte, in welcher Sprache er gerade mit mir zu sprechen geruhte, verlor er vollends seine Contenance. Er riss einen Zweig aus einem Busch und hob an, mich damit zu verprügeln. Aus adligem Geschlecht und daher natürlich auch des Zweikampfes kundig, tat ich selbiges – entriss dem Strauch einen langen Ast und streckte den Übeltäter mit einem gezielten Schlag gegen den Adamsapfel nieder.
Der Bösewicht gab sich mitnichten geschlagen. Er hob an zu wimmern und nach meinen Lakaien zu schreien. Diese eilten herbei und brachten mich eilends in Sicherheit. Sie führten mich in die einzige Kammer des Schlosses, in der ich sicher bin. Hier kann ich sinnieren und in völliger Ungestörtheit meine Pläne schmieden. Natürlich kümmert sich mein Hofstaat auch hier in unveränderter Manier um mich, auch mein Leibarzt beehrt mich täglich mit seiner Visite und fragt stets nach meinem Wohlbefinden. Allein die Einrichtung in diesem Raum lässt zu wünschen übrig, und die Tapete ist von einer eigenartigen Beschaffenheit, sie ist so weich.
Meine Gedanken kreisen nun um die Frage, wie ich mich dieses Hofnarren entledigen kann. Meine Vertrauten meinen, er sei nun einmal Hofnarr und als solcher genieße er die Daseinsberechtigung bei Hofe.
Ich bin hierbei allerdings nicht geneigt, Kompromisse einzugehen. Er muss weg. Basta.
Gegen das Anraten meines Arztes, noch einige Tage mehr in der Kammer des Grübelns, wie ich sie nenne, zu verbringen, verlasse ich diese nach drei Nächten. Mein Kammerdiener, der mir beim Servieren des Mittagsmahls die Tür öffnet, echauffiert sich zwar und ruft mir etwas nach, als ich gehe, aber was kümmert mich das? Ich habe zu tun: Ich muss meinen Feind suchen.
Natürlich erspähe ich ihn auf dem Weg zum Schlosspark sofort. Er springt mich in vertrauter Manier aus dem Gebüsch an, ich aber bin vorbereitet und bekämpfe ihn mit einem Fausthieb in die Magengrube. Er geht zu Boden und krümmt sich. Ich lasse weitere Hiebe folgen, in seinen Allerwertesten, in seinen Magen und auch gegen seinen Kopf. Er regt sich nicht mehr, liegt seitlich, aus seinem Mundwinkel fließt ein rotes Rinnsal.
Ich verlasse mein Schlachtfeld und beschließe, erst einmal Abstand zu gewinnen.
Meine Vorfahren leben in einem kleinen Anwesen ganz in der Nähe. Ich beschließe, einen Spaziergang zu ihnen zu unternehmen und ihnen von meiner letzten siegreichen Schlacht zu berichten. Wie immer freuen sie sich unbändig, mich zu sehen, sie rufen und schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Sie holen mich ins Haus, bewirten mich und fordern mich aufgeregt dazu auf, von meinen letzten Ruhmestaten zu berichten.
Ich führe genau aus, wie ich den widerspenstigen Hofnarren zur Strecke gebracht habe. Sie sind außer sich vor Begeisterung. Sie sagen, das müsse das ganze Land, was heißt Land, die ganze Welt müsse es erfahren! Sie planen meinen Siegeszug durch die Welt, beginnend mit unserem benachbarten Reich, in das sie mich gleich am nächsten Tag kutschieren.
Es muss sich dort draußen etwas Großes zugetragen haben. Gleich nach meiner Ankunft im Schloss des Nachbarreiches wurde ich in ein wunderschönes Gemach geleitet, um mich frisch zu machen und ein wenig von der Reise auszuruhen.
Das ist nun drei Monde her, und bis auf die Tatsache, dass täglich, wenn ich erwache, mein Mahl auf meinem Tische steht, habe ich seither niemandes Angesicht erblickt. Nicht einmal den Arzt habe ich auch nur einmal zu Gesicht bekommen. Vielleicht besucht er mich, ich bekomme es jedoch nicht mit.
Ich bin sehr müde.